Eine Sucht, ganz gleich in welcher Form, kann schwere körperliche und psychische Gesundheitsschäden mit sich bringen. Vor allem in einem fortgeschrittenen Stadium droht die soziale Ausgrenzung bis hin zur Isolation. In Familien richten Suchterkrankungen besonders schwere Schäden an. Ist ein Elternteil oder sogar beide von einer Sucht betroffen, leiden die Angehörigen, insbesondere die Kinder. Die familiären Strukturen verlieren an Stabilität. Oft kann nur professionelle Hilfe einen Ausweg aus der zerstörerischen Sucht weisen.
Suchterkrankungen sind in Deutschland weit verbreitet. Das Bundesgesundheitsministerium veröffentlichte Zahlen, die sich auf repräsentativen Studien stützen, insbesondere auf den Epidemiologischer Suchtsurvey 2018. Demnach sind allein in Deutschland 1,6 Millionen Menschen alkoholabhängig, ungefähr 2,3 Millionen Menschen leiden unter einer Medikamentenabhängigkeit und etwa 600.000 Menschen konsumieren Cannabis und andere illegale Drogen in einem gesundheitsschädlichen und missbräuchlichen Umfang.
Hinz kommt ein Schätzwert von etwa 500.000 Menschen, die die Kriterien eines pathologischen Glücksspielverhaltens aufweisen und sogar 560.000 Menschen sind den Studien zufolge so häufig und intensiv im Internet unterwegs, dass von einer Onlinesucht gesprochen werden kann. Unabhängig davon, um welche Form der Suchterkrankung es sich handelt, kommen Betroffene nach und nach immer schlechter mit ihrem Alltag und ihrem sozialen Umfeld zurecht. Deshalb leiden Familien stark darunter, wenn ein Mitglied eine Sucht entwickelt. Besonders gravierend können sich Suchterkrankungen eines Elternteils oder sogar beider Eltern auf die psychische Entwicklung von Kindern auswirken.
Genaue Zahlen darüber, wie viele Familien von einer Suchterkrankung betroffen sind, liegen dem Bundesgesundheitsministerium aufgrund der schwierigen Epidemiologie nicht vor. Jegliche Aussagen können nur auf Schätzungen und ungefähre Hochrechnungen gestützt werden. Dennoch gehen Experten davon aus, dass
„…ein erheblicher Anteil an Kindern in Deutschland von einem kritischen Substanzkonsum durch einen Elternteil betroffen ist. Die Anzahl an Kindern, bei denen bei der Mutter und/oder dem Vater eine elterliche, diagnostizierte Suchterkrankung vorliegt, ist insgesamt niedriger, dennoch ist der Gesamtanteil jener Kinder und Jugendlichen erheblich. Eine nicht näher bestimmbare Dunkelziffer darf dabei nicht außer Acht gelassen werden.“
(Quelle: https://www.bundesgesundheitsministerium.de)
Ungefähr jeder siebte Jugendliche, so lassen Erhebungen vermuten, lebt in Deutschland in einem Haushalt mit mindestens einem Elternteil zusammen, der eine alkoholbezogene Störung aufweist. Das würde einer Zahl von etwa 2,65 Millionen Kindern und Jugendlichen deutschlandweit entsprechen. Die Zahlen variieren je nachdem, ob bereits bei einem riskanten Alkoholkonsum angesetzt wird, oder erst bei regelmäßigem Rauschtrinken. Noch schwieriger wird die Ermittlung aussagekräftiger Daten im Hinblick auf Drogenmissbrauch in Familien. Hier gibt es aufgrund der Illegalität der meisten Drogen eine sehr große Dunkelziffer.
Schätzungen zufolge sollen mindestens 60.000 Kinder und Jugendliche mindestens einen opiatabhängigen Elternteil haben. Wie es um den Missbrauch von anderen illegalen Drogen und Neuen Psychoaktiven Substanzen (NPS) bestellt ist, kann hierzulande bislang nicht in Zahlen gefasst werden. Auch die Zahl der Kinder, die mit Eltern mit Verhaltenssüchten zusammenleben, ist nicht ganz einfach zu fassen. Zu den Verhaltenssüchten gehören die Spielsucht ebenso wie die Onlinesucht oder die Kaufsucht. Am besten sind die Zahlen im Bereich pathologisches Glücksspiel belegt.
Schätzungen zufolge leben in Deutschland derzeit zwischen 100.000 und 300.000 pathologische Glücksspieler, die vorwiegend aber nicht ausschließlich männlich sind. Ungefähr ein Viertel bis ein Drittel lebt mit minderjährigen Kindern zusammen. Hochrechnungen gehen von etwa 37.000 bis 150.000 Kindern und Jugendlichen aus, die mindestens ein Elternteil mit einer Verhaltenssucht haben.
Was eine Suchterkrankung mit dem Familienleben macht
Ist ein Familienmitglied von einer Suchterkrankung betroffen, kann das schwerwiegende Auswirkungen auf die gesamte Familie und das Zusammenleben in all seinen Facetten haben. Der Alltag im familiären Umfeld eines Suchtkranken, so das medizinische Fachpersonal der Betty Ford Klinik, wird schon von einer beginnenden Abhängigkeit beeinträchtigt und nach kurzer Zeit sogar dominiert. Die meisten Suchtkranken verdrängen ihre Abhängigkeit über einen sehr langen Zeitraum und verleugnen und verbergen ihn vor Angehörigen und ihrem sozialen Umfeld. Das bedeutet allerdings nicht, dass vor allem nahestehende Familienangehörige die Anzeichen der Sucht nicht erkennen.
Die Verhaltensveränderung, die Suchtkranke erfahren, variiert stark nach den psychologischen und sozialen Grundvoraussetzungen. Manche Suchtkranke ziehen sich zurück und werden immer passiver. Das bedeutet auch, dass sie mit der Zeit kaum noch am Familienalltag teilnehmen und immer wieder Ausflüchte suchen, um gemeinsamen Unternehmungen fernbleiben zu können. Andere reagieren eher aggressiv, launisch und hektisch. Ihr Umgang mit der restlichen Familie ist vor allem von Ungeduld, mangelndem Verständnis und Gefühlskälte geprägt.
Für Angehörige führt die Suchterkrankung häufig zu einer so genannten Co-Abhängigkeit. Das bedeutet, dass die übrigen Familienmitglieder die Folgen der Erkrankung mittragen. Damit ist nicht nur das veränderte und oft schädliche Verhalten der an einer Sucht erkrankten Person gemeint. Die meisten Familien, die sich mit einer Suchtproblematik auseinandersetzen müssen, versuchen über einen sehr langen Zeitraum hinweg, zumindest äußerlich die Fassade der heilen Welt aufrechtzuerhalten. Das bedeutet, dass die ganze Familie, oft unbewusst, gemeinsam versucht, das Suchtverhalten und seine Auswirkungen zu vertuschen.
Vor allem sehr kleinen Kindern fällt das sehr schwer, weil sie das Verhalten von Mama und Papa nicht verstehen und ihre noch tief verankerte Ehrlichkeit und Offenheit mit der erforderlichen Geheimnistuerei in Konflikt gerät. Dadurch können Kinder nicht nur das Urvertrauen in ihre Eltern verlieren, sondern auch andere schwere psychische Beeinträchtigungen und Entwicklungsstörungen davontragen. Hilflosigkeit, das Gefühl des Ausgeliefertseins, Angst vor dem unberechenbaren Verhalten des Elternteils und die gleichzeitige Sorge um den geliebten Menschen können Kinder nachhaltig psychisch schwer belasten.
Wann sollten Betroffene handeln?
Um sich selbst und ihre Angehörigen vor den Auswirkungen der Suchterkrankung zu schützen, sollten Betroffene Verantwortung übernehmen und sich selbst und ihrem sozialen Umfeld eingestehen, dass sie ein gesundheitliches Problem haben und Hilfe benötigen, um wieder auf einen gesunden Lebensweg zurückzufinden. Wenn der Familienalltag nicht mehr von der Sucht unberührt bleiben kann, wenn einzelne Familienmitglieder oder sogar alle Einschränkungen hinnehmen müssen, die durch die Sucht des Einzelnen begründet sind, ist der Punkt erreicht, um einen Ausweg zu suchen. Und zwar nicht nur für den Süchtigen selbst, sondern auch für seine Angehörigen.
Vor allem Kinder leiden schon in einem sehr frühen Stadium unter den Folgen einer sich entwickelnden Sucht. Sie haben feine Antennen für die Wesensveränderung geliebter Menschen und spiegeln diese und ihre eigenen Empfindungen dazu meist sehr deutlich wider. Durch ein Suchtverhalten kann die wichtige Eltern-Kind-Bindung nachhaltig gestört oder sogar zerstört werden. Das kann sich auch auf das Sozialverhalten von Kindern und Jugendlichen negativ auswirken. Sind hier erste Anzeichen zu erkennen, sollten Betroffenen sich ihre Sucht eingestehen und gemeinsam mit ihrer Familie nach Hilfe suchen.
Der elterliche Substanzkonsum kann nicht nur die psychische und soziale Entwicklung von Kindern empfindlich stören und beeinträchtigen, sie kann auch ein erhöhtes Risiko mit sich bringen, dass Kinder und Jugendliche später selbst eine niedrigere Hemmschwelle im Hinblick auf den missbräuchlichen Konsum von Drogen jeglicher Art entwickeln.